Kann man Erleuchtung trainieren oder erreicht man sie spontan? Können Menschen Erleuchtung anstreben oder ist es etwas, das aus sich selbst heraus passiert, wenn die Zeit dafür reif ist?

Sowohl als auch: Als für jeden Menschen erlernbare Fähigkeit ist Erleuchtung im Sinne der Yin-Yang-Polarität männlicher und weiblicher Energien sowohl etwas, was praktisch herbeigeführt werden kann, als auch etwas, das sich wie von selbst aus dem energetischen Fluss des Lebens ergeben muss und in diesem Sinne auch nicht erzwingen lässt. 

Erleuchtung ist eben immer beides: Schöpfung und Empfängnis, gleichermaßen eine aktiv zu praktizierende Tätigkeit wie etwas, das in passivem Sinne freundlich in das eigene Sein eingeladen und durch Loslassen vom Streben nach Erleuchtung in das eigene Sein hereingelassen/eingeladen werden möchte.

Es gibt da ein Zitat von dem bereits erwähnten Rumi, dass an dieser Stelle als sehr gut passt. 

„Deine Aufgabe besteht nicht darin, die Liebe zu suchen, sondern nur darin, all die Barrieren in dir zu suchen und zu finden, die du gegen sie errichtet hast.“

So verstanden ist Erleuchtung nichts, was sich künstlich herbeiführen ließe, sondern vielmehr etwas, dass sich im Sinne der Zen-Buddhistischen Philosophie aus der Spontanität des Loslassens von allen Blockaden, die man gegenüber der Erleuchtung innerlich erbaut hat, von selbst ergibt. 

Auch hier sehen wir wieder die paradox anmutende Yin-Yang Polarität: 

Loslassen ist zwar der Gegenpol des Machens und kann somit eher in der weiblichen Energie der Empfängnis, also der Passivität, verortet werden. Zugleich ist das Loslassen auch etwas, was aktiv getan wird. Was wir hier (wie an vielen anderen Stellen auch) erkennen können: 

Jede Wahrheit beinhaltet immer, implizit oder explizit, (mit in sich) einschließend oder ausschließend ihre Antithese. Jeder Pol beinhaltet immer auch seinen Gegenpol, sodass beide einander beinhalten und in der dialektischen Einheit des Selbstbewusstseins aufhören zu existieren. So viel zur philosophischen Ausschweifung nach Hegel an dieser Stelle.

Etwas einfacher, etwas praktischer, etwas konkreter - und zurück zur Frage kommend, ob Erleuchtung eher als etwas aktiv herbeigeführt oder eher als etwas passiv empfangenes verstanden werden kann.

Auf das wohl einfachste und naheliegendste aller Gleichnisse übertragen, könnte man sagen, das der Prozess der Erleuchtung im Inneren dem des Anschalten einer Lampe im Äußeren gleicht - beziehungsweise die Lampe diesem grundlegenden Wirkungsmechanismus der Erleuchtung, das als fundamentales Element der Wirklichkeitskonstruktion verstanden werden kann, nachempfunden ist. 

Wir, als Menschen, schalten im Prozess der Erleuchtung die Lampe im Inneren an - was allerdings im Sinne des eingangs erwähnten Zitates von Rumi weniger bedeutet, aktiv nach dem Licht zu streben, sondern vielmehr heißt, die inneren Blockaden, Widerständen, die limitierenden Glaubenssätze und Programme zu identifizieren, die man gegenüber dem Licht mit der Zeit entwickelt hat. Man selbst schaltet (in seiner menschlichen Form der Endlichkeit) die Lampe zwar an, doch das Licht (des formlosen göttlichen Bewusstseins der Unendlichkeit) passiert einem.

Erleuchtung, so verstanden bedeutet also ganz entscheidend, seinen Schatten, also die mit der Zeit verdrängten, die an sich selbst ungeliebten Persönlichkeitsanteile, wieder zu der Ganzheit integrieren, die man immer gewesen ist. Erleuchtung bedeutet, seinen eigenen Schatten zu integrieren und zu lernen, sich selbst bedingungslos zu lieben. Es macht nämlich einen essentiellen Unterschied in der spirituellen Potentialentfaltung des Menschen aus, ob wir leben, um einen Mangel auszugleichen, oder ob wir leben, um unserer göttlichen Fülle und Ganzheit einen konkreten Ausdruck zu verleihen. Wir leben nicht, um das Christusbewusstsein und die Natur des Buddhas zu erlangen oder um erleuchtet zu sein - wir leben, WEIL wir all dies bereits haben beziehungsweise sind.

Es bedeutet, die Persönlichkeitsanteile, Glaubenssätze und Programme zu die noch aus einem State das Mangels heraus denken und handeln, identifizieren und liebevoll zu umarmen, weil diese Teile der von uns, häufig durch traumatische Erlebnisse und der mit ihnen einhergehenden Bewältigungsstrategien, eben der ins Unterbewusstsein verdrängte Schatten sind. Und wir können nur dann zu unserer wahren Größe finden, wenn wir diesen Prozess der fortlaufenden Selbst-Integration als Zustand unseres Seins annehmen. Also ja, Erleuchtung ist erlernbar und kann im Sinne dieser Selbst-Integration der verdrängten Schatten trainiert werden, zugleich geschieht sie andererseits ebenso auf völlig spontaner Basis aus sich selbst heraus. Dies passiert, wenn wir soweit aus der Ganzheit, der Fülle, dem göttlichen Überfluss heraus handeln, dass wir nicht mehr leben, um einen Mangel zu begleichen, sondern nur noch leben, um die Großartigkeit unseres Daseins und das Wunder des Lebens als solches zu zelebrieren und zu manifestieren.

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Gibt es verschiedene Arten von Erleuchtung oder ist es ein einheitliches Konzept?

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Kann Erleuchtung durch bestimmte Lebensentscheidungen oder Verhaltensweisen verhindert oder verzögert werden?